Wie gehts meiner Tochter?

Judith

Erfahrener Benutzer
Angeregt durch den Link von Ulli auf das Skoliose-Forum, kam mir so einiges in den Sinn:

Unsere Mädchen können uns ja nicht oder nur sehr eingeschränkt erzählen, wie es ihnen mit ihrer Skoliose, ihren Anfällen und den Reaktionen ihrer Umwelt geht. Deshalb war mir immer auch sehr wichtig und hilfreich, das von Menschen erzählt zu bekommen, die die gleichen Probleme haben und die sprechen können. Mir hat das mitgeholfen, Entscheidungen für meine Tochter zu treffen und einen anderen und hoffentlich feineren Blick für all das zu bekommen. Ausserdem hab ich einige Therapien selber ausprobiert, damit ich mich besser einfühlen kann, was da passiert, wenn meine Tochter sie macht. Beim Orfiril hab ichs allerdings bei einem Probiertropfen belassen - und war froh drum, dass sie das über die Sonde bekommen kann. Kürzlich gabs in SWR1 zwei Stunden lang ein Interview mit einem mittlerweile operierten Mann, der Epilepsie hatte. Was er aus seinem Leben mit seinen Anfällen erzählte, war sehr aufschlussreich, wenn auch nicht in allen Punkten übertragbar auf unsere Mädchen, er hatte *nur* Epilepsie. Ich kann ja meine Tochter nicht fragen, wie es ihr dabei geht - ich kanns ja nur sehen und bestenfalls ahnen. Dass das im Bauch kribbeln und brennen kann, war mir völlig neu. Ob das bei meiner Tochter auch so ist, weiß ich nicht, aber ich kann künftig davon ausgehen und entsprechend reagieren. Aber dann wundert man sich, wenn das Mädle hin und wieder einen empfindlichen Magen hat und keiner weiß so recht, warum ... Sehr interessant fand ich auch seine Ausführungen über seinen eigenen Stolz, die Reaktionen der anderen, wenn er einen Anfall in der Öffentlichkeit bekam und was er sich sich in dieser Situation gewünscht und was er an Hilfe gebraucht hätte.

Vor zwei Jahren hatte die hiesige VHS Programm den Schwerpunkt auf Behinderte gelegt und dazu gabs auch einige Kurse. Was leider nicht zustande kam, war ein Tag im Rolli in meiner Stadt, das scheiterte an mangelndem Interesse, soweit ich weiß. Da hätte man für einen Tag die Rollen vertauscht - man wäre also im Rolli von einem Zivi oder einer anderen Begleitperson, einen Tag sitzend unterwegs gewesen und wäre in den Genuss von Backsteinpflastergehoppel, Blicken von oben und diesen und jenen Kommentaren gekommen.
Ein anderer Kurs, an dem ich auch teilnahm, fand statt. Er nannte sich Dancing in the Dark. Das war ein Tag mit Blinden in fast völlig abgedunkeltem Raum und - für uns Sehende - mit ständig geschlossenen Augen. Wenn ich bis dahin nicht wusste, was Angst ist, wurde mir das sehr schnell deutlich. Zunächst völlig orientierungslos, kein Halt und ständig betatscht von unbekannten Leuten, von denen ich nicht wusste, wer oder was sie sind, warum sie da sind, was sie von mir wollen und manche konnte ich schlicht nicht riechen. So ähnlich könnte es meiner Tochter gehen, wenn sie, selbst völlig hilflos, mit immer wieder neuen BetreuerInnen konfrontiert wird und wenn man ihr abverlangt, dass sie das akzeptiert und damit klar kommt. Und sie nicht sagen kann: Das will ich nicht - die will ich nicht - den will ich nicht! - und stattdessen die Luft anhält und es wieder eine Zeit dauert, bis das erkannt wird.
 
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