Thema erkennen
Hallo,
ich finde den Spiegel-Bericht sehr gut. Das Thema war eindeutig: wie empfinden die Familien kurz nach der Diagnose, wie geht es Ihnen, wenn die Tochter 17 oder 20 Jahre jung ist.
Selbstverständlich wünschen wir uns, dass nicht nur die schwere der Erkrankung dargestellt wird, sonder auch, was wir durch Liebe und Fürsorge in Verbindung mit hilfreichen Therapien bei unseren Mädchen erreichen können. Welchen Spaß sie am Leben haben, wie UK ihr Leben bereichern kann. Dies jedoch ist ein anderes Thema. Hätte den Spiegel wohl komplett gefüllt.
Mir gefällt der Spiegel-Bericht deshalb so gut, weil er auch mal einen Blick hinter die Kulissen wirft. Wer öffnet seine Seele denn schon gerne so weit, dass er formuliert, welche negativen Gedanken er manchmal hat. Und ich kann mir vorstellen, dass sich der eine oder andere (nicht nur im Kreise unserer "Rett-Familie", sondern Familien behinderter Kinder überhaupt) widererkennt und seine Wut, Angst und Trauer nicht mehr so beängstigend wahrnimmt.
Schließlich finde ich die Veröffentlichung des Krankheitsbildes "Rett" in einem so angesehenen Magazin wie dem Spiegel auch so wertvoll, weil ich hoffe, dass er (vielleicht nur einer einzigen) Familie in Deutschland hilft, zu erkennen, woran ihre Tochter erkrankt ist. Stichwort: Dunkelziffer.
Als wir im Saarland 2003 kurz vor Gründung unserer Gruppe eine Veröffentlichung in der Saarbrücker Zeitung erreichen konnte, rief mich eine Mutter an, deren Tochter bereits 1985 verstarb. Eine Diagnose konnte leider nie gestellt werden, aber sie erkannte ihre Tochter 1 : 1 wieder. (Fotos von Esther lassen auch kaum einen Zweifel). Diese Mutter sagte mir am Telefon, dass sie nun in Ruhe sterben könne, da sie endlich wisse, dass niemand irgendetwas übersehen und keiner einen Fehler gemacht habe.
Ich zitiere aus unserer RettLand 11., Mai 2003: "Brief einer Mutter" : " Danke nochmals für Ihr Interesse. Ich würde mich sehr freuen, weiter mit Ihnen und dem Rettland in Verbindung zu bleiben. Ich möchte Ihnen aber noch sagen, dass der unnennbare, anonyme Kummer mit meiner Esther nun erstmals einen Namen gefunden hat. Dass ich aufhöre - selbst so lange Jahre nach ihrem Tod, mir Gedanken darüber zu machen, ob überhaupt, und wenn ja, was ich übersehen, was ich hätte anders machen können, wo etwas schief gelaufen war. Danke!"
Wenn wir nur einer einzigen Familie in Deutschland diese Qualen, diesen Kummer vom Herzen nehmen können, weil sie durch den Spiegel-Bericht endlich wissen, was mit ihrer Tochter "anders" gelaufen ist, so hat sich diese Veröffentlichung gelohnt.