Schul - oder Alternativmedizin

Judith

Erfahrener Benutzer
Hallo Antje,

nachdem wir das Thema an anderer Stelle schon angeschnitten hatten, hier noch ein paar Gedanken meinerseits dazu.

Ich hab auf beiden Seiten - Schul- und Alternativmedizin - positive wie negative Erfahrungen gemacht. Und ich finde auch, beides hat seine Berechtigung - und auch seine Grenzen. Und letztlich ist es auch so: was für den einen gut ist, muss es für den anderen längst nicht sein. Was ich unbedingt notwendig finde, ist selbst wach zu bleiben, zu hinterfragen und eigentverantwortlich zu handeln. Auch das musste (oder durfte?) ich lernen, zu Anfang war das etwas ungewohnt und oft genug auch verwirrend, mit der Zeit merkte ich allerdings auch, wie gewinnbringend das für mich selbst und für uns alle war.
Ich verlange von keinem Mediziner, dass er immer und über alles Bescheid weiß - das geht ja gar nicht. Dazu ist das Spektrum einfach zu umfangreich. Was ich allerdings erwarte ist, zu sagen, wenn jemand einfach nicht weiterweiß oder weiterkommt, um dann gemeinsam zu überlegen, was zu tun ist. Aber auch damit sind viele überfordert und haben ihre Mühe, das so zugeben zu können. Nun weiß ich das ja - und kann mich entsprechend darauf einstellen.

Hierzu gibt es natürlich ein Schlüsselerlebnis, der den Aha-Effekt bei mir auslöste. Das war vor vielen Jahren in der Uniklinik in Göttingen, als bei Allegra (+/- 8 Jahre) noch einmal ein genereller Diagnosecheckup stattfand. Irgendwann kam ein Arzt und fragte, ob ich bereit sei, Allegra für seine Studenten zur Verfügung zu stellen. Er lehrte sie in *Diagnostik*. Gut, dachte ich, das piekst weder, noch hat es sonstige Nebenwirkungen - ausser für die Studenten, und die bewertete ich als positiv. Allegra und ich gingen also dahin. Abgesprochen war, dass ich auf die Fragen stellvertretend für Allegra zwar antworten dürfe, ich dürfe aber das Rettsyndrom mit keinem Wort erwähnen. Da standen sie also, die jungen Leute in ihren weißen Kitteln und schauten zunächst ratlos. Fasziniert von der jungen Dame zwar, die hatte sie recht schnell um ihre Fingerchen gewickelt. Der Arzt fing an, sie einzuweisen und begann mit den Worten (sinngemäß): Sie sehen hier dieses Mädchen und ihre Mutter. Und wenn ich Ihnen eines auf den Weg geben darf, dann dieses: "Maßen Sie sich niemals an, Eltern von behinderten Kindern das Blaue vom Himmel zu erzählen, das merken die eh sofort. Gehen Sie zuerst davon aus, dass das die Fachleute sind. Und erst, wenn Sie das Gefühl haben, sie wüssten etwas genauer, dann beginnen Sie, ihnen das zu erzählen."

Der Effekt bei mir war, dass ich innerlich plötzlich aufatmete. So eine Haltung hatte ich vorher noch nie zu spüren bekommen und ich dachte: eigentlich hat er ja Recht. Ich fühlte mich zum ersten Mal von einem Arzt als erfahrene Mutter eines besonderen Kindes wirklich ernst genommen und auch geschätzt. Der andere Effekt war, dass ich anhand auch der folgenden ca. halben Stunde, in der sich die StudentInnen mehr oder weniger langsam vortasteten und auch abquälten - ein Gefühl dafür bekam, wie unglaublich schwer es ist, sich einen Überblick zu verschaffen und zu einer Diagnose zu finden. Sicher, die jungen Leute hatten noch wenig Erfahrung ... und dennoch: So gehts sicher auch erfahrenen MedizinerInnen oft genug, weil sie halt nicht immer alles wissen können. Und grade das Rett-Syndrom ist ja so verbreitet nun auch wieder nicht und hat genug untypische Variationen.
Dem Arzt, dessen Name ich leider nicht mehr weiß, danke ich heute noch :)

Grüßzli Judith :wink:
 
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