Alles für unsere Mädchen tun und sich selbst nicht vernachlässigen...
Hallo Angelika,
kann es sein, dass wir in einer ähnlichen Stimmung / Verfassung sind im Moment? -
Beim Lesen Deiner Zeilen habe ich angefangen, zu heulen und tue es hier beim Schreiben immer noch.
Ich habe mir immer eingebildet, ich wäre in der Lage, trotz behindertem Kind, ein normales Leben zu führen. Bis zu einem gewissen Grad stimmt das auch - ich gehe arbeiten, habe Freunde und versuche alles dazu zu tun, dass Linda wie jedes andere Kind auch normal behandelt wird (z.B. nicht wenn ein kühles Lüftchen weht, in eine dicke Jacke gesteckt zu werden... - sie ist nämlich abgehärtet, wird nie krank), versuche die Mitteilungen zw. Betreuungspersonal und Elternhaus vom Thema "sie hat heute schlecht gegessen" und "Linda hatte heute keinen Stuhlgang" wegzubekommen (dazu nutze ich schon seit langem schriftliche Mitteilungsformen, da man natürlich schon wissen muß, ob ausreichend getrunken wurde und ob es Stuhlgang gab).
Wir haben im letzten Jahr in der Schule viel erreicht. Inzwischen sind auch die Lehrerinnen von Linda überzeugt, dass in ihr viel mehr steckt, als sie sich vorstellen konnten. Dazu hat auch Ron Coon (Lindas Kommunkationstherapeut) einiges beigetragen. Voraussetzung dafür war und ist natürlich Engagement. Zwischen den Lehrerinnen und mir das war eine ziemlich verfahrene Kiste, es gab keine bzw. eine gestörte Kommunikation. Ich wollte Linda schon aus der Klasse nehmen, obwohl die beiden die Arbeit des Therapeuten in der Klasse zugelassen hatten und auch unterstützten, konnten sie mir nicht vermitteln, dass sie Linda ernst nehmen.
In einem gemeinsamen Gespräch (Ron Coon war ebenfalls anwesend) und mit zurückhaltender Moderation der Direktorin konnten die Mißverständnisse ausgeräumt werden. Ich bin inzwischen froh, dass ich Linda nicht voreilig aus der Klasse oder sogar der Schule genommen habe.
Diese Sache zeigt aber, dass wir permanent an allen Fronten kämpfen müssen und letztendlich immer allein dastehen. Das ist - wenn wir ehrlich zu uns sind - auch der Nachteil am allein erziehen. Wir können es uns zwar schön reden und sagen, o.k. wir wollen uns schließlich nicht noch um ein weiteres "Kind" kümmern...

. Die Wahrheit ist aber auch, ein Partner, der mitzieht, mit dem man sich über alles unterhalten kann und der einen aus seinem hin und wieder aufkommenden Selbstmitleid heraus holt, würde uns so manches erleichtern.
Das eigentliche Problem ist jedoch, dass es viel zu viele Leute gibt, die einfach ihren Job nicht richtig machen. Ich erwarte von niemandem, dass er immer 100-200 % bringt (auch wenn das von uns immer und von allen Seiten ganz selbstverständlich erwartet wird). Wir verstehen ja, dass jeder auch nur ein Mensch ist und kein immer super funktionierender Automat.
Von einem Sozialarbeiter beim Amt erwarte ich jedoch, dass er seinem Namen gerecht wird und nicht wie ein Verwaltungsfachangestellter handelt.
Von einem Gutachter des MDK erwarte ich, dass er ein medizinisches Gutachten erstellt und nicht ein Schreiben, dass den Eindruck erweckt, es hätte ein Anwalt geschrieben.
Von Sachbearbeitern der KK erwarte ich, dass sie unsere Anträge umgehend bearbeiten.
Von allen zusammen erwarte ich, dass sie bei ihrer Arbeit in erster Linie davon ausgehen, was für unsere Kinder notwendig ist, dass sie sich bewußt machen, dass unsere Kinder viel Zuwendung brauchen, um ein gleichberechtigtes Leben in der Gemeinschaft führen zu können und dass wir dafür Ihrer Unterstützung bedürfen. Sie sollten sich bewußt machen, dass es ihre Arbeitsplätze ohne unsere Kinder gar nicht gäbe und dass nicht wir nach ihrer Pfeife zu tanzen haben, sondern dass wir mit unseren Kindern ihre Kunden sind.
Ich möchte keine Sätze mehr hören wie:
"Sie sind doch eine starke Frau, sie machen das schon."
"Nun stellen Sie mal Ihr Licht nicht unter den Scheffel."
"Tja, Frau López, warum gehen Sie auch (soviel) arbeiten?"
Solche Sätze kommen immer dann, wenn ich mal aufzeige, wo meine Grenzen sind (dass ich z.B. keine gelernte Therapeutin bin und auch nie eine werde, weil meine Stärken wo anders liegen)
Als ich zu verstehen gab, dass wenn die Einzelfallhilfe-Stunden weiter gekürzt würden, ich mich nicht mehr in der Lage sehe, mein Kind zu Hause zu behalten) wurde mir vorgeworfen: ich "würde das Amt erpressen wollen".
Und eben weil viele - leider die Mehrheit - sich dessen nicht bewußt sind, müssen wir ständig ihren Job machen, ihnen erklären, was ihre Aufgabe ist. Dadurch geraten wir natürlich immer in die (auch von uns) ungeliebte Rolle der fordernden, alles haben wollenden, der Gesellschaft auf der Tasche liegenden, die Ämter nervenden... Mütter/Väter, die man am liebsten nur von hinten sieht - oder besser gar nicht.
Meiner Einzelfallhelferin (unserer uns unverzichtbar gewordenen Sonja) wurde gerade vorgestern von meinem Sozialarbeiter gesagt, sie müsse sich von der Mutter abgrenzen. Die Mutter müsse ihr Umfeld mehr mobilisieren. Sie hatte den letzten Hilfebericht abgeliefert und mit ihm über den nächsten Bewilligungszeitraum der Hilfe gesprochen. Sie hat ihn dann gefragt, wen die Mutter den mobilisieren soll, er solle ihr konkret Anlaufpunkte nennen. Ich kann ja mal meine 78jährige Mutter fragen (die seit eineinhalb Jahren keine Niere mehr hat und 3mal wöchentlich zur Dialyse fährt und ihr Leben trotzdem selbständig meistert - und um die ich mich viel zu wenig kümmern kann), oder meine zwei Brüder und meine Schwägerin, die selbst arbeiten gehen. Sonja hat ihn gefragt, an der Tür welches Nachbarn ich den klingeln soll, um ihn zu bitten, sich mit Linda zu beschäftigen, bis ich meine Einkäufe oder die Hausarbeit erledigt habe.
Um zum Ausgangspunkt zurück zu kommen:
Wie erreicht man es, dass man alles notwendige tut, seinem (behinderten) Kind ein lebenswertes, erfülltes Leben zu ermöglichen und selbst dabei nicht vor die Hunde zu gehen, sich von seinen Freunden zu entfernen, weil Zeit/Kraft nicht ausreichen, die Freundschaften zu pflegen. Und: wie schafft man es, trotz all der Belastung, nicht verbittert zu werden?
Ich versuche immer wieder, mir zu vergegenwärtigen, dass wir uns Menschen nicht backen können, wie wir sie gerne hätten, dass sie sich auch nicht für uns ändern werden und dass - wenn wir nicht immer gegen Windmühlen kämpfen wollen, uns nur eine gewisse Gelassenheit hilft. Wir werden immer diejenigen sein, die versuchen, für die anderen, Verständnis zu haben.
Vielleicht hilft uns ja, dass wir wissen: Sie hatten nicht die Chance, solche

zu haben und somit auch nicht, Erfahrungen wie wir zu sammeln und dadurch stärker zu werden.
Übrigens: seit gestern nachmittag sind beide Kinder verreist (Linda für drei Wochen ins Ferienlager mit eins-zu-eins-Betreuung durch eine vorher "getestete" liebe Betreuerin und Rosa für 10 Tage in ein KanuCamp) - viel Zeit, zum "auf dumme Gedanken kommen" - darum gehe ich morgen auch wieder arbeiten und habe erst wieder Urlaub, wenn Rosa zurück ist
Bis hier liebe - hoffentlich inzwischen nicht mehr ganz so traurige - Angelika,
viele Grüße, ich treffe mich jetzt noch mit meiner Freundin. (inzwischen heule ich nicht mehr)
sei ganz herzlich gegrüßt