Ihr Lieben,
zunächst einmal ganz herzlichen Dank für eure lieben und guten Gedanken und die vielen gedrückten Daumen, eines wie das andere war eine große Stütze für uns dort oben im Norden während der herben letzten 2 Wochen.
Wir traten mit einem Befund von 62° an, das Röntgen vor der OP zeigte allerdings ein anderes Bild: 105° zur Seite, 62° nach hinten, jeder Wirbel 90° in der Achse gedreht. Es gab wohl einen Punkt in meiner Vorstellungskraft, den die neuen Daten derart überstiegen, dass diese Zahlen gar nicht richtig in mir ankamen und somit der große Schreck ausblieb. Oder es war die ruhige und vertrauensvolle Art von Dr. Meergans, die mich ganz ruhig bleiben ließen. Ich tippe eher auf letzteres, er hat schon ein sehr feines Händchen für derartige Situationen.
Dr. Meergans empfahl mir, während der OP das Klinikgelände zu verlassen - ein sehr kluger Rat eines erfahrenen Arztes. Also wanderte ich nach Langen und schnappte noch einmal ordentlich Luft, weil klar war, dass ich die nächsten Tage auf der Intensivstation verbringen würde. Die Zeit verging auf diese Weise recht schnell, ohne Grübeln.
Allegra verlor sehr viel Blut - nach meinen Berechnungen dürfte sie eigentlich fast kein eigenes mehr gehabt haben. Glücklicherweise gibt es Mittel und Wege, den Verlust wieder aufzufangen und auszugleichen. So dramatisch das auch klingen mag, ich empfand es nicht so - es gab keinen Moment, in dem unruhige Hektik ausbrach. Weder bei mir, noch bei den Ärzten und Pflegerinnen und Pflegern. Mein Mädle war zu jeden Zeitpunkt in den besten Händen, in Ruhe und fürsorgliche Pflege gebettet. Mich nahmen sie in einem Schwung gleich mit.
Am 6. Tag nach OP durfte sie wieder in ihr Zimmer. Ich würde zwar nicht behaupten, dass es von da an schnurstracks aufwärts ging. Zuerst einmal mussten wir die richtige Dosis gegen ihre Schmerzen finden. Es gab bessere Tage, es gab aber auch Tage, an denen ich das Gefühl hatte, wir fangen bei Null an, weil sie sich nicht wohl fühlte und wir zunächst nicht wussten, warum. Mit ganz viel Ruhe und genau Hinschauen und -fühlen ließen sich Antworten finden: Sie musste den Kraftakt des Eingriffs bewältigen, sie hatte plötzlich ein völlig anderes Körpergefühl, sie schaute mich unsicher und ängstlich an bei jeder Umlagerung - es war eine Mischung aus allem. Ihre Mitte fehlte ihr, die zuvor ja in ihre Seite gerutscht war - die Lösung war ein Lagerungskissen an ihrer "verwaisten" Seite und darüber steichen und sie fühlen lassen - eine Wohltat für sie. Und immer wieder erzählen, was passiert war und warum sie in diese für sie misslichen Lage gekommen ist und auch davon, worin für sie das Gute liegt nach den Strapazen: Sie wird wieder reiten dürfen, was bei der Ausprägung ihrer Skoliose längst nicht mehr möglich war. Keine Druckstellen im Korsett aushalten müssen, weil die bei der Gradzahl einfach vorprogrammiert und nicht mehr zu verhindern sind. Der Erhalt des Sitzens, der irgendwann grenzwertig geworden wäre, da sie keinen Halt mehr hatte ohne Korsett - mit Korsett ging es nur noch 3 Stunden täglich wegen der Druckstellengefahr. Sie wird weiterhin ins Dampfbad und den Whirlpool können mit ihren Titanstäben, der Verzicht wäre wirklich ein herber Verlust gewesen. Die Grazie mag den Wellnesstempel, da kommt sie ganz nach ihrer Mama. Wie sie sonst noch profitiert - das wird die Zeit zeigen, aber auch da bin ich mir sicher, dass noch die eine oder andere Überraschung auf uns wartet.
Es wird sicher noch eine Zeit brauchen, bis sie das vorher und während vergessen und sich über das neue wirklich freuen kann. Dass es gut wird, bezweifle ich nicht.
Seit heute Abend bin ich für ein paar Tage wieder zuhause und ihre Großmutter hat im fliegenden Wechsel das "Aufpäppelprogramm" übernommen. Es macht mich auch überhaupt nicht neidisch, dass sie ihr bereits den ersten Kicherer "danach" entlockt hat. Das war eh klar ;-)
Apropos Naturjoghurt: Den aß sie natürlich nicht mit Genuss (gelinde ausgedrückt). Da ich aber fleißig im Forum die Erfahrungsberichte mitlese und wusste, dass die Gefahr eines Pilzbefalls im Mund besteht, dachte ich halt: Frau sorg vor. Das "warum" der Pilzgefahr fragte ich (neugierig wie ich bin) nach und bekam die Antwort: Normalerweise halten sich Bakterien und Pilze in Schach. Nun kommt aber nach der OP Antibiotikum zum Einsatz und fegt die Schachhalterbakterien natürlich auch mit weg - also triumphiert die andere Seite, wenn man sie lässt. Naturjoghurt mit rechtsgedrehter Milchsäure ist ein probates Mittel, um Paroli zu bieten und helfend einzugreifen. Also drangsalierte ich das arme Mädle hartnäckig und unbarmherzig mit Naturjoghurt mittels Spritze in den Mundwinkel - einen Schluck hat sie dann letztlich doch nicht mehr verhindern können (ich hatte meine Ohren sehr gespitzt). Ob der gereicht hat, kann ich natürlich nicht behaupten - Fakt ist, geschadet hats nicht, sie bekam keinen Pilz. Und aus dem Zimmer gejagt hat sie mich auch nicht.
Zum Abschluss möchte ich mich für eure vielen Briefe, sms, Päckle, Mutmacher und auch den "Eleganten Blumenstrauß in Zartrosé für eine junge Dame" bedanken, die Allegra erreicht und gefreut haben. Ihr Nachttisch ist nun gut bestückt. Ich überlegte mir, alles hinter sie an die Wand zu pinnen - aber dann sieht sie die Pracht ja nicht mehr. Wo Essenstablett und Medis künfig abgestellt werden ... och, da bin ich sehr gelassen und vertraue darauf, dass andere Lösungen gefunden werden.