Ihr Lieben,
seit gestern Abend ist Allegras Großmutter wieder in Tübingen und brachte viele Geschichten aus Debstedt mit. Allegra muss jetzt ein paar Tage alleine im Norden bleiben, am Donnerstag fahre ich wieder zu ihr, packe ihren Koffer und hole sie zurück nach Hause. Es ist kein schönes Gefühl, sie alleine zu wissen, auch wenn ich weiß, dass sich dort alle mit besten Kräften um sie bemühen.
Es hat sich viel getan. Bevor ich vor einer Woche wieder nach Hause fuhr, ging es Allegra noch sehr wechselhaft. Nachdem sie auf die für sie passende Schmerzmittelmenge eingestellt worden war und das nach meinem Empfinden passte, hatte sie Mühe, ihre Verdauung wieder in die Gänge zu bekommen. In ihrem Bauch sammelte sich so viel Luft, dass ich manchmal das Gefühl hatte, sie fängt irgendwann an zu fliegen. Wohlgefühlt hat sie sich damit natürlich gar nicht, so etwas tut schlicht weh und ist extrem unangenehm. Woran das lag, weiß ich nicht. Ich vermute, weil der Darm für die Zeit der OP auch ruhiggelegt, dadurch etwas irritiert war und eben wieder einen Anschubser brauchte. Nachdem sie Hilfe und Entlastung bekommen hatte, ging es ihr deutlich besser und ihr Lächeln kam wieder zurück.
Am Montag ging es dann stramm mit der Mobilisierung der jungen Dame los. Sitzen, Physio, Ergo, Stehständer ... endlich kam das normale Leben wieder für sie zurück und sie bekam etwas zu tun. Sie ist zwar sehr geduldig, aber immer nur im Bett liegen mag sie eben auch nicht. Die Ausflüge mit ihrer Großmutter durch die Klinikflure wurden ausgedehnt, in der Caféteria im oberen Stock gab es als Gipfelvesper Butterbrötchen, Schokoladeripple und Cola.
Dr. Meergans sei sehr zufrieden ob dem wunderbaren Heilungsverlauf, wie er wohl nicht so oft vorkommen würde. Und das, obwohl Allegra durch den Blutverlust zunächst sehr geschwächelt war und die Korrektur der Wirbelsäule schon eine echte Herausforderung darstellte. Das liegt sicherlich daran, dass er und seine Kollegen, all die Therapeuten und Pflegenden hervorragende Arbeit geleistet haben und es natürlich noch tun. Es liegt ganz bestimmt aber auch an der angenehmen Atmosphäre in der Seepark Klinik und im Besonderen auf der Station von Dr. Diedrichs, auf die Allegra gelegt worden war für das Davor und Danach. Das wurde so entschieden, weil sie sich dort auskennt - sie logierte dort während der letzten 6 Jahre immer wieder zur Hilfsmittelanpassung und Kontrolle. Dr. Meergans kam jeden Tag zu ihr und schaute, wie es ihr geht, was sie braucht und entschied, wie es weitergehen soll. Tagsüber hat Allegra während der Woche ihre Abwechslung und Ablenkung im Betreuungszimmer durch ganz liebe Erzieherinnen - wenn sie nicht grade mit Gipsbinden hantiert oder ihre Therapiestunden absolviert.
Wir können wirklich dankbar, erleichtert und zufrieden darüber sein, wie es gelaufen ist. Es ist aber auch ein seltsames Gefühl, das nun hinter uns zu wissen - die Sorge hat mich jahrelang beschäftigt. Nie zu wissen, wie sich die Skoliose entwickelt ... zwischen Hoffen und Bangen. Zu überlegen, wie es im Falle einer OP zu wuppen sein könnte mit den Geschwistern, Job, den vielen Aufgaben im Leben und Alltag. Und auch zeitweise Hilflosigkeit und Traurigkeit darüber, dass ich Allegra den Eingriff in ihr Innerstes nicht ersparen konnte, bei allem guten Willen. Die ewige Frage nach dem richtigen Zeitpunkt, der Spagat zwischen dem "darf oder muss ich ihr das sogar zumuten"? Die Frage lässt sich viel leichter beantworten, wenn da Ärzte sind, die ganz und genau auf den Menschen schauen, sich Zeit nehmen für die Patienten, sehr viel Erfahrung mitbringen und Vertrauen ausstrahlen, das beruhigt und wohl tut. So, wie ich das eben bei Dr. Meergans und Dr. Diedrichs erlebt hatte, die mir bei meiner Entscheidung halfen.
Die Organisation des Drumherum war im Grunde anstrengender, als die Tage auf Intensiv und danach. Die Überlegungen, wie die Pflege danach zuhause aussehen könnte, haben mir einige graue Haare beschert. Seelenpflege braucht ein Mensch nach solch einer Veränderung schließlich auch, um mit den Erfahrungen, dem neuen Körpergefühl, der veränderten Mitte und dem fremden Material im Körper zurecht zu kommen und das annehmen zu können. Wunsch und Wirklichkeit klafften dabei arg auseinander: Die Leistungen der Pflegeversicherung gehen dabei gnadenlos in die Knie und nur mit sehr viel Phantasie und lieben Menschen, die zusätzlich einspringen, lässt sich dabei eine Lösung stricken, die dem Wunsch zumindest in die Nähe rückt. Es gibt noch viel zu tun ... ;-)